Anfang Oktober ging es für unsere drei Abenteurer auf große Reise. Die Semesterferien gingen zu Ende und wir mussten wieder nach Kiel, natürlich nicht ohne Schlaubi, Muffi und Schlumpfine. Bevor es zum Bahnhof ging, gab es für jeden noch eine große Portion Milch zur Stärkung. Nach unserer Rechnung wäre unsere Ankunft genau eine Stunde nach der nächsten Mahlzeit und wir dachten uns, dass das Abendbrot auch einmal später stattfinden könnte. Allerdings hatten wir nicht mit unseren hungrigen Jungs gerechnet. Während Schlumpfine verträumt im Heu lag, war Schlaubi schon auf Achse und pünklich um 21 Uhr fing er an mit lautem Fiepen seine Mahlzeit einzufordern. Also fütterten wir doch im Zug. Die Mitreisenden bekamen dies natürlich mit und rätselten, was wohl in diesem mysteriösen grünen Korb sein könnte. Auch der Zugbegleiter warf einen kurzen Blick auf die Zwerge und freute sich über die ungewöhnlichen Fahrgäste. In Kiel angekommen gab es noch die letzte Mahlzeit des Tages und die gewohnte Kuscheleinheit, bevor es ins Bett ging.
Am nächsten Morgen ging es an den Bau einer größeren Wohnung für die Igel. Wir stellten den Couchtisch auf den Kopf und bauten die Zeitungsablage ab. Um die Beine spannten wir Gurte und kleideten das Ganze mit einer robusten Folie aus. Der Boden wurde schließlich mit Sägespänen und Heu bestreut und das Klettergerüst hineingesetzt. Die Igelarena war fertig zum Erkunden. Alle paar Tage versuchten wir uns eine neue Beschäftigung für sie auszudenken. So gab es zum Beispiel eine Taschentuchbox zu erkunden und Chipsdosen zum hindurchkrabbeln. Die Dosen waren vielseitig verwendbar, denn neben dem eigentlichen Zweck hindurchzukrabbeln, rollten die kleinen Ausbruchsspezialisten sie zur Wand und versuchten sie als Treppe in die Freiheit zu nutzen. Irgendwann stellten wir fest, dass sie immer zur Hälfte in der dunklen Röhre lagen und schliefen. Deshalb überspannten wir eine Ecke der Igelarena mit einem Tuch, sodass es dort ständig dunkel war. Schlumpfine war die Erste, die mit dem Nestbau anfing und Heu sammelte. Die beiden Jungs schlossen sich ihr an und manchmal hätte man denken können sie arbeiteten im Team. Während einer baut, schaffen die anderen beiden Material zur Baustelle. Nachdem Schlumpfine festgestellt hatte, dass ihre Brüder sehr schöne Nester bauten, beschloss sie die Arbeit den beiden zu überlassen und kuschelte sich mit ihnen zusammen in das Nest. Warum auch arbeiten, wenn man doch in der Zeit schlafen kann. Ein Nickerchen machte jeder gerne, ob alleine oder alle drei auf einem Haufen, nebeneinander, auf der Seite oder auf dem Rücken. Über die Zeit konnten wir die kuriosesten und amüsantesten Schlafpositionen beobachten. Völlig faszinierend finde ich allerdings, dass sich keiner verletzt hat, obwohl sie dicht an dicht gekuschelt haben. Wir stellten zwar fest, dass die Stacheln locker liegen, wenn die Igel entspannt sind, aber selbst dann haben wir uns ab und zu gestochen.
Wir begannen nun auch langsam mit der Futterumstellung und mischten von Tag zu Tag mehr Hundefutter unter die Milch, um die Kleinen zu entwöhnen. Mit der Futterumstellung nahmen sie jeden Tag 20g bis 40g zu und wurden immer größer. Nur unser kleines Sorgenkind Schlumpfine verlor in den ersten Tagen der Umstellung Gewicht, sodass sie zunächst wieder Milch bekam und dicker wurde. Die Raubtierfütterungen waren immer ein lustiges Schauspiel, denn die gefräßigen Igel steckten ihre Schnauzen so tief in die Hundefutter-Milch-Pampe, dass sie regelmäßig die Milch aus der Nase pusten mussten. Während Schlaubi und Muffi ziemlich sauber an ihrem Napf fraßen und kaum kleckerten, hinterließ Schlumpfine um ihren Futterplatz eine riesige Sauerei. Soviel zu der Theorie Frauen wären sauberer als Männer. Aber auch beim Fressen konnte man die Charaktere sehr gut erkennen. Die Jungs machten sich an ihren Näpfen sofort ans Fressen und wenn einer der beiden schneller war, wurde eben nach noch mehr Futter beim Bruder gesucht. Schlumpfine hingegen brauchte erst einmal ein wenig Zeit, um wach zu werden und zu realisieren, dass da Futter vor ihr stand. Meistens genoss sie die Mahlzeit dann ausgiebig langsam in einem Zustand irgendwo zwischen dem Wachsein und dem nächsten Nickerchen.
Mit der Zeit bekamen die kleinen Igel ein dichteres Fell, unter dem die rosa Haut verschwand. Ebenso verstärkten sich die Gesichtszüge der Rabauken. Ich finde es noch immer faszinierend, dass jeder der Drei seine eigenen markanten Merkmale hatte und seine eigene Persönlichkeit. Langsam lernten sie auch laufen und sie wurden von Tag zu Tag sicherer auf ihren kurzen Beinen. Die Kuschelstunde am Abend wurde damit auch zur Entdeckerstunde umfunktioniert. Anstatt auf uns zu schlafen, wurden wir und das Zimmer genauestens erkundet. Wir mussten auch nicht mehr beim Toilettengang helfen, das schaffte mittlerweile jeder für sich alleine. Allerdings stellte sich mit der Futterumstellung auch der Geruch der Kleinen um und so langsam fingen sie an wie echte Igel zu riechen. Ständig waren wir hinterher die Hinterlassenschaften so schnell wie möglich zu entsorgen, um den Geruch im Rahmen zu halten.
Auch unsere Nachbarin besuchte uns mit ihren Kindern, um sich die stacheligen Kugeln anzusehen. Bei der Gelegenheit versuchten die Igel auch gleich die Jackenärmel von innen zu erkunden und stellten erneut fest, dass die Stacheln das Rückwärtsgehen ziemlich erschwerten. Igelkinder mitten in der Stadt sind schon eine kleine Attraktion.
Wir konnten auch immer häufiger beobachten, dass sie auf Dingen herumkauten und sich dann die Stacheln einspeichelten. Igel kauen auf für sie duftenden oder unangenehm riechenden Sachen herum und lecken sich mit dem schaumigen Speichel die Stacheln, sodass sie selbst danach riechen. Zur Erklärung dieses Verhaltens gibt es ziemlich viele unterschiedliche Vermutungen, eine endgültige gibt es allerdings nicht. Eines weiß ich aber, es sieht ziemlich witzig aus, wie sie sich beim Einspeicheln verrenken können.
Gegen Ende Oktober schlief die Rasselbande zunehmend tagsüber, damit sie Nachts ihr Unwesen treiben konnte und uns nebenbei vom Schlafen abhielten. Eines Nachts hörten wir dann ein Kratzen unter dem Schreibtisch. Schlaubi hatte es tatsächlich geschafft zu türmen. Wie er das geschafft hat, war in dieser Nacht nicht mehr herauszufinden. Am nächsten Abend aber hörten wir ein Rascheln am Gehege, Schlaubi war aufgeflogen. Durch eine Falte in einer Ecke konnte er sich durchzwängen und hatte an der Mülltüte des Papierkorbs gezogen, was ihn verraten hat.
Kurz danach nahm meine Freundin die Rabauken wieder mit nach Hause und ich muss sagen, im ersten Moment war ich froh darüber. Ich konnte wieder auf dem Stubentisch essen, es gab keine nächtlichen Ruhestörungen mehr und das Raumklima der Wohnung wurde langsam wieder besser. Aber auf der anderen Seite fehlten sie mir schon in dem Moment, als der Zug abfuhr. Sie hatten irgendwie zum Alltag dazugehört und es war nie langweilig. Wahrscheinlich fühlt es sich so an, wenn Eltern ihre Kinder zum ersten Mal in den Kindergarten bringen.
Zum Glück würde ich sie bald wiedersehen.